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Bei der Feier vor 30 Jahren, als diese Schule ihren Namen bekam, war ich selbst noch Schüler in Halle. Aber heute sitzen hier Menschen, die diesen Tag miterlebt haben. Mit einigen habe ich mich darüber unterhalten. Eines ist ihnen gemeinsam: Sie erzählen noch heute – nach drei Jahrzehnten – sehr berührt von der Begegnung mit Miep Gies. Sie kam damals mit ihrem Ehemann nach Gütersloh, um von Anne Franks Geschichte zu berichten. Es ist bekanntlich eine Erzählung aus erster Hand:

  • Miep Gies, die Frau, die zur Familie Frank und den anderen im Amsterdamer Hinterhaus den Kontakt hielt.
  • Miep Gies, die das Tagesbuch der Anne Frank rettete und die damit selbst zu einer Figur der Weltgeschichte wurde.

Eine kleine, freundliche, lebhafte ältere Dame mit leicht wienerischem Akzent – so wird sie beschrieben – die bis in ihr ganz hohes Alter weltweit unterwegs war – als Zeitzeugin ebenso wie als Botschafterin für die Werte, die Millionen Menschen in aller Welt mit dem Namen Anne Frank verbinden: den Kampf gegen Ausgrenzung und Rassismus, den Einsatz für Toleranz und Menschlichkeit und das „Nie wieder“ vor dem Hintergrund menschenverachtender Ideologien.

Miep Gies war nicht nur dieses eine Mal zu Gast in Gütersloh. Sie pflegte – ich glaube, das darf man so sagen – eine Freundschaft zum Ehepaar Rolfes. Und so wurde ein Band geknüpft zwischen Gütersloh und Amsterdam, das weit hinausreichte über eine Namensgebung und die damit verbundene Symbolik.

Rund 250 Schulen auf der Welt tragen den Namen von Anne Frank. Für alle sind die genannten Botschaften und Werte Programm, so auch für unsere Anne-Frank-Gesamtschule in Gütersloh. Hier jedoch blieb die Wirkung nicht allein auf die Schule beschränkt: Die Anne-Frank-Arbeitsgemeinschaft erforschte unter der Leitung von Wilfried Limper Anfang der Neunziger Jahre die Geschichte zweier Kindergräber auf dem Jüdischen Friedhof an der Böhmerstraße und brachte damit die Geschichte von Zwangsarbeiterinnen ans Tageslicht, die im Zweiten Weltkrieg in die Region verschleppt und hier in der Nähe (Verl-Kaunitz) von amerikanischen Truppen befreit wurden. Die Erforschung der Geschichte der Zwangsarbeit in Gütersloh führte schließlich zu Einladungen an ehemalige Zwangsarbeiter und –arbeiterinnen. Zu einem Zeitpunkt, als die Frage der Entschädigung für die Opfer noch alles andere als sicher war, hat Gütersloh damit ein Zeichen gesetzt, was seinerzeit auch medial aufmerksam wahrgenommen wurde. Seinen Ursprung fand das letztlich in dem Profil der Schule, für das der Name Anne Frank steht.

Weitere Beispiele wären zu nennen: Der Kontakt zu Israel und Palästina, außergewöhnliche Ausstellungsprojekte in Zusammenarbeit mit dem Anne-Frank-Zentrum, preiswürdige Schülerarbeiten und vieles mehr. Der Name ist Programm – selten lässt sich dieser Satz so auf den Punkt bringen.

Der Kontakt zu Miep Gies ist zu ihren Lebzeiten niemals abgerissen. Sicherlich, weil sie nicht als „Figur der Zeitgeschichte“ auftrat, sondern als Frau mit einer unglaublichen Lebensgeschichte, die sich besonders jungen Menschen – eben den Jungen und Mädchen im Alter von Anne Frank – immer besonders verbunden gefühlt hat. Und die vor allem selbst ein Beispiel war für Mut und Zivilcourage. Das alles wollen wir heute würdigen, indem wir einen Weg nach Miep Gies benennen. Die Idee ist logisch und folgerichtig, denn beide Namen gehören zusammen. Das Tagebuch der Anne Frank führt uns vor Augen, was es bedeutet, ausgegrenzt, gedemütigt und in Angst zu leben, versteckt auf engstem Raum und doch voller Hoffnung auf eine bessere Zeit. Aber ohne Miep Gies würden wir dieses Tagebuch und alles, was damit verbunden ist, wahrscheinlich nicht kennen. Jetzt schließt sich der Kreis und wir setzen ein Zeichen dankbarer Erinnerung.

Am Schluss meines Grußworts soll deshalb ein Zitat von Miep Gies stehen, eine Antwort auf die Frage, ob sie sich ihres besonderen Mutes bewusst gewesen sei, als sie den Kontakt zu den Menschen im Versteck hielt. Miep Gies sagt: „Wenn die Leute glauben, ich sei etwas Besonderes, eine Art Heldin, befürchte ich, sie könnten bezweifeln, dass sie damals dasselbe getan hätten wie ich.

Nicht viele Menschen halten sich für besonders mutig, und das könnte sie womöglich davon abhalten, Mitmenschen in Not zu helfen. Deswegen möchte ich gern allen versichern, dass ich eine ganz normale und vorsichtige Frau bin und ganz bestimmt weder außergewöhnlich noch tollkühn. Ich habe geholfen, wie so viele andere, die ein genauso großes oder vielleicht ein noch größeres Risiko eingegangen sind wie ich. Es war notwendig, und deswegen habe ich es getan.”

Herzlichen Dank – auch im Namen des Rates – für die Initiative zur Benennung des Weges.

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