Wir fahren ständig daran vorbei. Sehen Lastwagen und hören, wie Schweine quieken.

Der Schlachthof Tönnies hat seinen zentralen Firmensitz im Kreis Gütersloh und ist deswegen besonders präsent für uns. Gerade durch den großen Corona-Skandal ist Tönnies für alle Gütersloher ein Begriff geworden.

 Wir wissen schon lange, dass diese Art von modernen Schlachthöfen, die Art des Schlachtens und die dazu gehörige Massentierhaltung als Tierquälerei zu bezeichnen sind, aber dass nicht nur die Tiere in solchen Betrieben leiden, sondern auch die Menschen unter unmenschlichen Bedingungen leben und arbeiten,  wurde uns erst so richtig durch den großen Skandal im Sommer vor Augen geführt.

Da stellt sich natürlich die Frage, wie es denn jetzt, einige Monate später bei Tönnies und in ähnlichen Schlachthöfen aussieht, ganz unabhängig von den Maßnahmen, die dort wegen Corona ergriffen werden mussten.

Die Arbeit in Schlachthöfen ist sehr hart. Die Mitarbeiter müssten den ganz Tag stehen, sie müssen zum Teil schwere Lasten tragen und können nur wenige Pausen machen. Krampfadern und Rückenschmerzen sind häufig die Folge. Außerdem ist es in den Produktionshallen extrem kalt, weil das Fleisch durchgehend kühl gehalten werden muss.

Hinzu kommt,  dass die Beschäftigten häufig zehn bis 12 Stunden am Tag, bis zu 60 Stunden in der Woche bzw. mehr als 200 Stunden im Monat schuften müssen. Überstunden werden nicht bezahlt, fallen aber regelmäßig an, da zum Beispiel das Reinigen des Arbeitsplatzes nicht als Arbeitszeit angerechnet wird.

Da ist es nicht verwunderlich, dass viele Mitarbeiter diese maximale Ausbeutung nur Monate oder wenige Jahre aushalten und die meisten Menschen hier in Gütersloh kein Interesse daran haben, diese Arbeit zu machen.  So kommen viele Arbeiter aus Polen und südosteuropäischen Ländern wie Rumänien und Bulgarien und können kein Wort Deutsch. Die schlechte wirtschaftliche Situation in ihrer Heimat und das häufig niedrige Bildungsniveau  werden hier in Deutschland schamlos ausgenutzt.  Das ist für mich moderne Sklaverei, denn sie sind den Unternehmen hilflos ausgeliefert und bekommen für ihre harte Arbeit nur einen unangemessen geringen Lohn. Häufig sind sie hier bei uns komplett isoliert und haben auch aufgrund der schwierigen Arbeitszeiten und der Tatsache, dass viele nur für eine kurze Zeit nach Gütersloh kommen, keine Chance sich zu integrieren oder Kontakte zu knüpfen, geschweige denn die deutsche Sprache zu erlernen.

Hinzu kommt, dass viele der Tönnies-Mitarbeiter nicht regulär angestellt sind, sondern durch Subunternehmen, deren Machenschaften häufig absolut undurchsichtig sind, für sogenannte „Werkverträge“  angeworben werden. Viele Arbeiter gehen aus Unwissenheit für sie nachteilige Knebelverträge ein und haben keine Möglichkeit sich zu wehren.

Skandalös ist auch die Wohnsituation dieser Menschen. Sie leben zu dritt in einem Mini-Zimmer, teilweise in Schichten und bezahlen für solche Wohnungen überzogene Mieten. Außerdem sind diese Wohnungen manchmal Kilometer von der Firma entfernt; um zur Arbeit zu kommen, werden die Mitarbeiter in Busse gepfercht und müssen die Fahrtkosten selber zahlen.

Clemens Tönnies wurde schon häufig für diese gigantischen Missstände kritisiert, hat aber meistens die Schuld auf die Subunternehmen geschoben, um seine „weiße Weste“ zu behalten. Natürlich geht es nicht nur um Tönnies, denn dieser Betrieb ist nur ein Beispiel für viele, in denen Menschen unter unwürdigen, skandalösen Bedingungen arbeiten müssen.

Abschließend kann man sagen, dass der Skandal im Sommer letztendlich doch positive Folgen hatte, denn ab dem 1. Januar 2021 sollen die Werkverträge und etwas später die Leiharbeit verboten werden. Alle Mitarbeiter sollen in Zukunft fest bei den Unternehmen angestellt werden.  Und Tönnies will jetzt für die Mitarbeiter neue Wohnungen schaffen; wir werden sehen, ob die Wohnbedingungen dann wirklich besser werden.

Es gibt also einen kleinen Hoffnungsschimmer, aber so lange wir alle weiter möglichst billiges Fleisch kaufen werden, wird sich nicht wirklich etwas ändern. Uns sollte viel mehr bewusst sein, was sich hinter den billigen Preisen unserer Produkte versteckt, nämlich eiskalte Ausbeutung von Menschen, und das nicht nur im Ausland, sondern auch direkt vor unserer Haustür.

Text: Emily Niehaus, Q2

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